Abb. 5-1
Sergej Pawlowitsch Koroljow (1907
- 1966)
Chefkonstrukteur
der UdSSR
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"Der Weltraum bietet
so viel Erstaunliches und Faszinierendes,
dass man von ihm nicht mehr loskommt,
wenn man ihn kennengelernt hat."
Waleri Kubassow, Kosmonaut, 1975
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Auch wenn Tausende von Wissenschaftlern, Ingenieuren, Technikern,
Bürokraten, Handwerkern und einfachen Arbeitern in den USA
wie der UdSSR daran beteiligt waren, das große Puzzlespiel
"Mondprogramm" zu verwirklichen, so bleiben doch in den Annalen
der Raumfahrt nur wenige Namen davon übrig.
Auf der amerikanischen Seite stehen Kapazitäten wie Hugh
Dryden, George Low oder Sam Phillips, wir Deutsche heben gerne
einen Wernher von Braun daraus
hervor.
Auf der sowjetischen Seite begegnen uns Namen wie Tschelomej,
Gluschko, Mischin,
Kusnezow, Piljugin
und Jangel.
In der Sowjetunion ragt jedoch ein Name neben dem
von Ziolkowski
weit über die anderen heraus. Vielleicht auch deswegen, weil
diesen Mann ein Mythos umgibt:
In der Sowjetunion existiert er offiziell nicht; er ist der Öffentlichkeit
völlig unbekannt. Für sie ist er zunächst nur "DER
CHEFKONSTRUKTEUR" - ein Mister X.
Alles, was seine Person betrifft, fällt unter die höchste
Geheimhaltungsstufe. Seine genialen Ideen und Erfolge, von denen
schon gesprochen worden ist und von denen noch zu sprechen sein
wird, kann er nur im internen Kreise feiern - ein Orden ist ihm
vor seinem Tod nie offiziell verliehen worden.
In der Öffentlichkeit ernten zunächst andere für
seine Erfolge die Lorbeeren. Erst mit seinem unerwarteten, tragisch
frühen Tod wird die sowjetische Regierung das Geheimnis um
den Mann lüften, dem sie lange Jahre die führende Position
in der Weltraumfahrt verdankt.
Sergej
Pawlowitsch Koroljow ist in Shitomir in der Ukraine
geboren. 1916 trennten sich seine Eltern, seine Mutter heiratete
ein zweites Mal nur ein Jahr später. Die Familie zieht in
die ukrainische Metropole Odessa um. Der hochbegabte, an jeglicher
Flugtechnik interessierte Sergej beginnt 1926 an der Hohen Technischen
Universität von Moskau, dem besten Kolleg für Ingenieure
im damaligen Russland, ein Studium.
Beeinflusst durch die Schriften des ersten großen russischen
Raumfahrtkonstrukteurs, Konstantin Ziolkowski, träumt er
wie viele andere den großen Traum vom Flug mit einem Raumschiff
durch das All.
Aber er träumt nicht nur ... 1929 graduiert er und ab 1932
untersteht ihm die Moskauer Gruppe zum Studium der Rückstoßbewegung
GIRD.
Mit Friedrich Zander und Michail Tichonrawow , zwei anderen Visionären
und Pionieren der sowjetischen Weltraumfahrt, entwickelt er dort
die erste Flüssigkeitsrakete der UdSSR.
1933 startet GIRD-09 erfolgreich, sieben Jahre sind seit dem ersten
Raketenstart in den USA vergangen ( Robert
Goddard).
Heute können wir wahrscheinlich nur Kinder und Enthusiasten
für GIRD-09 begeistern, so klein ist sie ausgefallen:
Die erste sowjetische Flüssigkeitsrakete ist "nur" 2,40 m
lang und wiegt "nur" 19 kg.
Die Erfolge von GIRD lassen die Militärs aufmerken;
der in der Roten Armee in hohem Rang stehende General Michael
Tuchatschewski unterstützt ihre Forschungsarbeiten, nicht
selbstlos versteht sich.
Man hat hohe Ansprüche an das GIRD-Team, Langstreckenwaffen
sollen sie entwicklen. Bereits in der Anfangsphase der Raketenentwicklung
fordern die Militärs zuverlässige Triebwerke mit einem
Schub von hunderten von kN.
1934 wird Koroljow Leiter der Abteilung zur Entwicklung
von Flügelraketen; wie bei v. Braun wird seine Forschungsgruppe
der Rüstungsindustrie unterstellt.
Doch dann wird General Tuchatschewski 1937 verhaftet, aufgrund
von Verleumdungen, er habe mit den Deutschen kollaboriert ...
und wenig später hingerichtet.
Das grausame Stalin-Regime ist an der Macht.
Koroljow und seine engsten Mitarbeiter kommen wegen ihrer engen
Beziehung zu dem Generali ein Jahr später ebenfalls in den
GULAG: in die berüchtigten Todesminen von Kolyman in Nordsibirien.
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Zum GULAG seien die beiden
Bände von Nobelpreisträger
Alexander Solschenizyn:"Archipel GULAG 1 & 2" als Lektüre
empfohlen.
Bemerkenswert übrigens, dass in Hofstätters Buch nichts
über Koroljows Haft zu lesen ist.
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Im März 1940 wird Koroljow zurück nach
Moskau beordert und ist nun in dem legendären Butirskaja-Gefängnis
inhaftiert. Im Juli verdonnert ihn Beria, Stalins berüchtigter
Chef der Geheimpolizei, aufgrund von gefälschten Sabotage-Dokumenten
zu weiteren acht Jahren Arbeitslager. Doch im September muss Koroljow
nicht in das Lager, sondern der "Komfort" steigt:
Er ist nun in der Scharaga interniert,
einem ”für das Wohl des Staates” arbeitenden, wissenschaftlich-technischen
Planungsinstitut. Der Leiter des Institutes ist ein gewisser Andrej
Tupolew (ebenfalls Gefangener) ,
genau jener weltberühmte Flugzeugbau-Ingenieur Tupolew, nach
dem später eine eigene sowjetische Flugzeug-Baureihe benannt
werden sollte.
Koroljow ist in guter Gesellschaft - In der Nachbarzelle
sitzt z.B. Walentin Gluschko,
der spätere "Vater" der besten, künftigen
sowjetischen Raketentriebwerke.
Offiziell ist Gluschko 1941 Leiter des ersten Versuchs-Konstruktionsbüros
OKB geworden, als Stellvertreter gibt man von 1942-46 Sergej Koroljow
an.
Zwischen Gluschko und Koroljow herrscht jedoch eine an Feindschaft
grenzende Rivalität, denn Koroljow glaubt, dass er seine
Verbannung in das Arbeitslager der Denunziation durch Gluschko
zu verdanken hat.
Am 27. Juli 1944 wird Koroljow bedingt entlassen
und ein Jahr später, nach Ende des 2. Weltkrieges im September
1945, reist er mit einer Gruppe von Technikern nach Deutschland
(unter ihnen sein späterer Nachfolger,
Wassili Mischin,
mit dem er sich auf dieser Reise anfreundet) um sich persönlich
um die dort gefundenen V2-Raketen zu kümmern und sie nach
Russland schaffen zu lassen. Im August 1946 wird er zum Chef eines
Ressorts ernannt, dass sich auschließlich mit der Weiterentwicklung
von Raketen aus der geborgenen deutschen Hardware beschäftigen
soll.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs, endlich, nach langen Jahren
der Entbehrung in der Gefangenschaft, ist Sergej Koroljow ein
freier Mann. Rehabilitiert wird er jedoch erst in den 50er Jahren.
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Frei?
Ein "freier Mann" wäre zuviel gesagt,
denn die neue Regierung unter Nikita Chruschtschow
weiß um seine Fähigkeiten. |
Abb. 5-2
Nikita Chruschtschow
Präsident der UdSSR |
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1946 wird Koroljow zum Chefkonstrukteur
der Raketen- und Raumfahrttechnik befördert. Man teilt ihm
die Leitung von OKB-1 zu, dem an erster Stelle im Staat stehenden
Versuchs-Konstruktionsbüro für Raketen- und Raumfahrtechnik.
Koroljow wird von da ab endgültig zur "Persona
non existenta", entsprechend der Natur der sowjetischen Raumfahrtindustrie.
Er entwickelt Langstreckenraketen, Trägerraketen, militärische
und Kommunikationssatelliten, interplanetarische Sonden und bemannte
Raumschiffe.
Koroljow versteht es, in den folgenden Jahren mit einer unvergleichlichen
Mischung aus Genialität, Überzeugungskraft und Charme
die sowjetische Regierung davon zu überzeugen, dass es sich
lohnt in die Erforschung des Alls zu investieren.
Als Dank reiht er einen Erfolg an den anderen.
Man könnte ihn daher auch treffend ”Nummer 1” nennen:
Walentina Tereschkowa-Nikolajewa,
die erste Kosmonautin, sagt später über DEN
CHEFKONSTRUKTEUR, wie er nun ehrfurchtsvoll
genannt wird:
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Abb.
5-3
Sergej Koroljow
mit
Juri Gagarin |
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"Er war ein wunderbarer Mensch, Sergej
Pawlowitsch. Er war nicht nur ein großer Wissenschaftler,
er war auch ein großer Organisator. Er versammelte um sich
begabte Wissenschaftler und begabte Ingenieure. Dadurch waren
wir damals so erfolgreich in unserem kosmischen Programm." |
Ein Happy-End ist dem Chefkonstrukteur jedoch nicht beschienen,
denn tragisch endet sein Leben.
Ständig bedrängt von der militärischen Führung
, die ausschließlich an der Weiterentwicklung ihrer Waffensysteme
interessiert ist, angetrieben von eigenem großen Ehrgeiz,
erhält er zu wenig an finanziellen Mitteln, um sein mit höchster
Leidenschaft verfolgtes Ziel zu erreichen:
einen Kosmonauten vor den ”Amerikantsii” zum Mond zu senden.
Sein Paradestück, die N1,
die Trägerrakete des sowjetischen Mondprogramms, besitzt
allein 30 Triebwerke in der ersten Stufe. Er hat sie als kompaktes
System vor dem ersten Start nie testen können ... weil ihm
nicht genügend Gelder für ausreichende Erprobungsphasen
bewilligt wurden.
Als Sergej Koroljow am 5. Januar 1966 ins Krankenhaus
kommt, weiß er schon, dass das Rennen zum Mond für
die Sowjetunion verloren ist. Man darf annehmen, dass diese
Erkenntnis seine Abwehrkräfte negativ beeinflusst hat.
Nur eine kleine Operation sagen ihm die Ärzte, die schmerzenden
Hämorrhoiden sollen entfernt werden, doch dann entdecken
die Mediziner einen großen Tumor im Dickdarm – Sergej
Koroljow hat Krebs.
Von der schweren Operation wird er sich nicht mehr erholen.
Der Chefkonstrukteur stirbt neun Tage später
am 14. Januar 1966 in der Regeneration.
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Wenn es nach ihm
gegangen wäre,
vielleicht hätte die Inschrift auf seinem Grabstein dann
gelautet:
Warum habt Ihr die Rosen, die Ihr jetzt auf meinen Sarg legt,
mir nicht schon im Leben geschenkt? |
Bittere Ironie und möglicherweise
die Wurzel seiner schweren Krankheit ist am Ende, dass Koroljow
nie gegen die Regierung rebelliert hat, unter deren Beschränkungen
er sein ganzes Leben lang gelitten hat.
Erst nach seinem Tod hebt der Kreml die Anonymität des Mannes
auf, der bis dahin der Öffentlichkeit als nichtexistent verschwiegen
wurde.
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Sergej Koroljow erhält
ein öffentliches Staatsbegräbnis in allen Ehren. Posthum
werden ihm nun die Orden verliehen, die er sich im Leben verdient
hatte.
Staatspräsident Leonid Breschnew verbeugt vor seinem Sarg.
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Abb. 5-4
Leonid Breschnew, Präsident der UdSSR |
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Die Geheimniskrämerei um seine Person bleibt jedoch noch
Jahrzehnte bestehen. Erst 1994 wird die erste unzensierte Biographie
von Sergej Koroljow erscheinen, geschrieben von dem russischen
Historiker und Journalisten Jaroslaw Golowanow.
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Inhalt Letztes Update
dieser Seite am 04.04.2004
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