Kapitel 8

Tschelomejs Mondorbit-Programm LK-1





"Das Sonnensystem muss im notwendigen Ausmaß besiedelt werden."

Sergej Koroljow, 1958


Walentin Tschelomej hat rasch erkannt, welch segensreiche Quelle neuer Erfindungen sich ihm geöffnet hat.
Gluschkos neues hocheffizientes Triebwerk, eigentlich für Koroljows neue Trägerrakete N1 erdacht, integriert er in sein eigenes Programm.
OKB-52 entwickelt nämlich gerade eine Familie von Boostern, sogenannte "Universalraketen" ("Universalskaya Raketa"), die sowohl für militärische wie zivile Zwecke geeignet sein sollen ... später wird sie als PROTON-Baureihe Berühmtheit erlangen.


Abb. 8-1  UR-200 Interkontinentalrakete

Abb.8-1

UR -200
ICBM

Technische Daten:


Am Anfang steht eine Mittelstreckenrakete, die UR-200, geeignet für den Transport von Nutzlasten zwisch 3-4 Tonnen.

Die Trägerrakete soll thermonukleare Sprengköpfe (Reichweite: 12.000 km) bzw. Spionagesatelliten transportieren und im Rahmen des RAKETOPLAN-Projektes zum Einsatz kommen, baulich ist sie vergleichbar mit Koroljows R9 und Jangels R16.

Testflüge laufen von November 1963 bis Oktober 1964. Die Baureihe wird danach wie RAKETOPLAN ersatzlos gestrichen (s. unten), Yangels R36 wird bevorzugt.

Gewicht: 133 t
Länge: 30 m
Max. Durchm:
3 m
Nutzlast: 2t
  Startschub: 2040 kN

Abb. 8-2  UR 500 (PROTON-Erstversion)

Abb.8-2

UR 500 / PROTON
-Erstversion
als zweistufige Trägerrakete

 


Technische Daten:

Die nächstgrößere Version ist die UR 500, unter dem Namen PROTON bekannt geworden, ausgelegt für Nutzlasten bis 20 Tonnen.

Von oben nach unten:
Die kegelförmige –rötliche- Nutzlastverkleidung wird nach 370 sec in 145 km Höhe abgestoßen.
Darunter befindet sich die zweite Triebwerksstufe (grüne und orange Brennkammern) mit vier beweglichen Steuerungsdüsen.
In der klassischen sowjetischen Blockbauweise bestehen Stufe 1+2 aus der zentralen- hier: grünen - Brennkammer, umschlossen von vier - hier: orangen - Boosterblöcken

Länge: 31,9m Max. Durchm.: 4,20m
   
Nutzlast: 8,4t Startschub: 9020kN

Abb. 8-3  UR-700 Superrakete

Abb. 8-3

UR 700 – Trägerrakete
mit LK-700 Nutzlast

Technische Daten:


Am Ende soll die UR 700,
eine Superrakete für 90-130 t, Nutzlast stehen.

Sie ist für Tschelomejs Mondlandeprogramm LK-1 als Trägerrakete vorgesehen.

Gewicht: 4740t Länge: 108m Stufen: 4 Startschub: 5940kN
Max. Durchm.: 15,3m Nutzlast: 150t in Erdorbit, 50t translunar

Im November 1961 haben sich, wie wir schon erwähnt haben, die Konstrukteure Koroljow und Gluschko entzweit.
Gluschkos OKB-456 unterstützt nun Tschelomejs Pläne.
Beide sind sich über die Verwendung der flüssigen hochgiftigen Brennstoffe, Nitrogentetroxid und Dimethylhydrazin, einig, denn sie haben die militärische Verwendung der Trägerrakete vorrangig im Auge:
Eine betankte Flüssigkeitsrakete kann für einen Schnellstart wesentlich einfacher und länger in Bereitschaft gehalten werden!
Kurzerhand werden von Tschelomej die von Gluschko für die erste Stufe von Koroljows N1-Trägerrakete vorgesehenen Raketentriebwerke in die UR 500 integriert.
Wie, ist im Text zu Abb. 8-2 beschrieben.

Am 16. Juli 1965 ist der Jungfernflug einer PROTON-Trägerrakete:
Der gleichnamige Satellit PROTON 1 wird problemlos ins All transportiert.


Abb. 8-4

Tschelomejs Universalraketen im Museum:
links UR-200
rechts UR-500-Modell (PROTON)

Abb. 8-4  UR-200/UR-500-Museumsmodelle
Abb. 8-5

PROTON-Trägerrakete

vor dem Start

Abb. 8-5 PROTON-Trägerrakete vor dem Start


Walentin Tschelomej, der Günstling Chruschtschows, erhält nun die Unterstützung des Kreml für weitreichendere Pläne:
Die UR 500/PROTON soll u.a. als Träger für die militärische Raumstation ALMAZ, unter dem Decknamen SALJUT 3 bzw. SALJUT 5 der Öffentlichkeit bekannt gemacht, benutzt werden.

Im April 1962 unterzeichnet der Präsident der UdSSR ein Papier, welches Tschelomejs Gruppe folgenden Auftrag zuweist:

Ein bemanntes Raumschiff zu bauen,
welches den Mond umrunden kann,

das mit dem Kürzel LK-1 bezeichnete Mondorbitprogramm
(LK steht für das russische "Lunniyi Korabl" = lunares Raumschiff)

Zu diesem Zeitpunkt ist von einer Mondlandung noch keine Rede!

Damit wird jedoch ein Keil in die Organisation der sowjetischen Weltraumforschung getrieben.
Denn bisher ist Koroljows OKB-1 das zuständige Planungsbüro für bemannte Missionen gewesen. Aber, wie bereits angedeutet, der Sohn des Staatschefs arbeitet in Tschelomejs OKB-52...

Im April 1962 genehmigt der Kreml die für das LK-1-Projekt zu verwendende dreistufige Variante der UR 500, die PROTON (8K82K).
Die erste Stufe ist praktisch identisch mit der der militärischen UR 500-Erstversion. Darauf wird eine zweistufige UR 200 gesetzt. Alles ein wenig modifiziert und etwas stärker ausgelegt, so dass die neue PROTON-Trägerakete bis zu 20 Tonnen Nutzlast in eine Erdumlaufbahn schießen kann.

Abb. 8-6

Dreistufige PROTON
(8K82K)

Abb. 8-6   Dreistufige PROTON 8K-Trägerrakete



Technische Daten:

Länge: 44,30 m ohne Frachtverkleidung, mit Nutzlast 57,40m
Gewicht: 670t
Max.Durchmesser: 7,40m
Startschub: 8844 kN
Nutzlast: 20t in 200km Orbit
bzw. 2,2t für eine translunare Umlaufbahn
Die unter der Nutzlast befindliche dritte Stufe besteht aus einem Einkammertriebwerk mit eigenen Steuerungsdüsen.
Die 8K82K besitzt nun 6 Boosterblöcke.
Abb. 8-6   Dreistufige PROTON 8K-Trägerrakete Abb. 8-7

PROTON-Start

Am Kosmodrom in Baikonur werden zwei Startrampen
für die PROTON-Baureihe gebaut.



Der PROTON-Booster, obwohl bis heute heftigst wegen seiner hochgiftigen umweltbelastenden Brennstoffe kritisiert, wird zur zuverlässigsten und beständigsten Trägerrakete der UdSSR; er ist neben dem SOJUS-Booster der "Lastesel" der ehemals sowjetischen, heute russischen Weltraummissionen:
u.a. ist er der Träger für die Mondmissionen LUNA und ZOND, die ersten Mars-und Venus-Sonden (Venera), die SALJUT-Raumstationen und den Zusammenbau der MIR usw.
Die Trägerrakete PROTON wird nun auch den Sprung in das nächste Jahrtausend schaffen. Eine PROTON hat das erste Bauteil der Internationalen Raumstation ISS ins All gebracht und auch weitere russische Stationsmodule werden mit PROTON-Trägerraketen in den Weltraum transportiert.


Die Trägerrakete für Tschelomejs Mondraumschiff ist nun vorhanden.
Es fehlt also noch das Raumschiff selbst, welches den Mond künftig umkreisen soll.
Ob die Zeit für genau diese Form nu reif war oder wer von wem abgekupfert hat, lässt sich im Nachhinein für einen Außenstehenden schwer nachvollziehen.
Spionage gehörte damals wie heute zum politischen Handwerkszeug, besonders natürlich in (Kalten) Kriegszeiten ...
jedenfalls gleicht LUNNIYI - KORABL-1 erstaunlich der APOLLO-Kapsel, sie ist mit 2,80 m Durchmesser nur um 1,10 m kleiner als das amerikanische Raumschiff ...

Ein Problem hat Tschelomej allerdings mit seinem zu konstruierenden Raumschiff:
Die UR 500-PROTON-Rakete ist nur beschränkt für einen bemannten Mondflug als Träger einsetzbar.
Sie ist, zu schubschwach um ein LK-1-Raumschiff direkt zum Mond zu beschleunigen.
Dazu müsste ein zusätzliches Rendezvous-Manöver mit einem zweiten Raumschiff im Erdorbit ("Earth Orbit Rendezvous - kurz: EOR) eingeplant werden.
Eine Überlegung, die auch lange Zeit von Wernher von Braun für das amerikanische Mondprogramm favorisiert worden ist.

Abb. 8-8  LK-700 Tschelomejs Entwurf einer Mondlandefähre
Abb. 8-8 links

Entwurf Tschelomejs
für einLK-700-
Mondlandeschiff:



Technische Daten:


Abb. 8-9

Entwurf Tschelomejs für ein
LK-1-Mondorbit-Raumschiff
mit Solarzellenflächen und diversen Antennen

Abb. 8-9  Skizze von Tschelomejs lunarem LK-1 Raumschiff

Gewicht: 45t Länge: 23,5m
Max. Durchm.: 4,10m Besatzung:
2 Kosmonauten
Brennstoffvorrat: 36t Max. Missionsdauer:
14 Tage

Das ist Tschelomej jedoch zu umständlich; er ändert seine Pläne und entwickelt eine noch größere Trägerrakete, die UR 700.
Denn er kennt die Pläne der Amerikaner ... und die seines Kontrahenten Koroljow!

Anders als Koroljow befürwortet Tschelomej einen direkten Mondflug mit der riesigen UR-700-Rakete. In ihre Spitze sind ein Mondabstiegsblock, ein Auftreffabsorberblock, eine Mondlandefähre und ein LK-1-Raumschiff integriert.
Mit der LK-1-Kapsel sollen die beiden Kosmonauten nach ihrer Mondmission zur Erde zurückkehren. Das Design der UR 700 ist sehr von der PROTON beeinflusst; man erkennt als Basis für die einzelnen Stufen der UR 700 die Herzstücke der PROTON.

Einwurf:

Die Welt hält den Atem an


In der Nacht vom 14. auf den 15. Oktober 1964 schlägt der Blitz in Form einer Nachricht in der UdSSR und der ganzen Welt im Allgemeinen und in Tschelomejs OKB-52 im Besonderen ein:
Die Kubakrise, das Fiasko in der Schweinebucht, hat Präsident Nikita Chruschtschow zu Fall gebracht. Er wird durch Leonid Breschnew ersetzt.
Damit ist der Günstling seines Gönners beraubt ...

und die Gunst des neuen Gönners wendet sich dem alten Kontrahenten zu ...

 


Man muss dazu wissen, dass Leonid Breschnew Parteichef der KP in Kasachstan während des Baues des Kosmodroms in Baikonur gewesen ist und danach organisatorisch maßgeblich am Raketenbau und Raumfahrtprogramm beteiligt gewesen ist, u.a. an der Vorbereitung der WOSTOK-Einsätze.
Er steht Sergej Koroljow deshalb schon länger nahe.


Ende 1964 muss die oberste Führung der Sowjetunion eine grundlegende Entscheidung über die Ziele auf dem Weg zum Mond treffen; drei Planungsbüros legen ihre Entwürfe für eine bemannte Mondlandung vor:

 

1. Mikhail Yangels OKB-586 das R56-Konzept mit einem großen Booster, der an Triebwerksleistung der der amerikanischen SATURN V nicht nachsteht.
Wenig ist über diesen Vorschlag damals im Westen bekannt geworden. Cluster von mindestens vier langen, bleistiftförmigen ersten und zweiten Stufen verleihen der Modellstudie ein charakteristisches Aussehen.

Abb. 8-10 Yangels R 56 - Trägerrakete (Museumsmodell) Abb. 8-10

Yangels R 56 - Trägerrakete
(Museumsmodell)

2. Tschelomejs OKB-52 das Konzept der direkten Mondlandung mit einem UR700/LK700- Komplex

3. Koroljows OKB-1 das N1-L3-Profil,
auf das wir in Kapitel 15 zu sprechen kommen.


Den Zuschlag erhält nicht unerwartet für Beobachter von außen Koroljows Vorschlag.

Walentin Gluschko wie Wladimir Tschelomej sind damit aus dem Rennen, sie müssen sich Sergej Koroljow in der Zukunft unterordnen. Mikhail Jangel wird den künftigen Mondlander entwickeln.

Für Tschelomej kommt es zunächst schlimmer:
Auch das Mondorbitprogramm LK-1 wird ihm genommen und ebenfalls in Koroljows Hände gelegt. Später wird er für die Raumstationen SALJUT 2, 3 und 5 verantwortlich sein.
Einzig die PROTON-Trägerrakete bleibt ihm zu diesem Zeitpunkt.
Sie wird später eine vierte Stufe erhalten.
Denn DER CHEFKONSTRUKTEUR - ob aus eigenem Antrieb oder durch sanften äußeren Druck, weiß man bis heute nicht - schlägt 1965 versöhnlich eine Kombination aus seinen und Tschelomejs Ideen vor:

Das L-1-Mondorbit-Projekt


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Letztes Update dieser Seite am 04.04.2004