"Die Menschheit wird nicht ewig auf der Erde bleiben,
sondern, im Jagen nach Licht und Raum,
zunächst zaghaft über die Grenzen der Atmosphäre vordringen
und sich danach den ganzen Raum rings um die Sonne zu eigen machen."

Worte auf dem Grabstein Konstantin Ziolkowskis


Gerade als das sowjetische Mondprogramm so richtig in Fahrt zu kommen beginnt, geschieht die Tragödie:
Der Chefkonstrukteur muss am 5. Januar 1966 ins Krankenhaus. Er hat sich einer harmlosen Operation zu unterziehen, schmerzende Hämorrhoiden sollen entfernt werden.

Es ist nachher und bis heute noch viel über den tatsächlichen Hergang spekuliert worden.
Man muss annehmen, dass Sergej Koroljow selbst sich seiner schweren Krankheit schon vorher bewusst gewesen ist und sie vor den engsten Mitarbeitern, Freunden wie Verwandten geheimgehalten hat.
Ob er so an Geheimhaltung gewöhnt worden ist, dass er sie auf den privatesten Bereich ausgedehnt hat? Oder war sein Ehrgeiz zu groß um Schwäche zugeben zu können?

Manche schreiben die tödliche Krankheit auch seinem langjährigen Aufenthalt im Arbeitslager zu.
Andere weisen auf seinen permanent schwächelnden Gesundheitszustand hin:
Er litt unter niedrigem Blutdruck, stand unter hohem Stress und arbeitete täglich viele viele Stunden. Das hält niemand auf Dauer ohne körperliche Langzeitschäden aus.

Bei den Routineuntersuchungen vor der Operation diagnostizieren die Ärzte einen großen Tumor:
Der Chef von OKB-1 hat Dickdarmkrebs! In fortgeschrittenem Stadium ...
Damals sind die Heilmethoden noch nicht so fortgeschritten gewesen wie heute.

Sergej Koroljow stirbt am 14. Januar 1966 an den Folgen einer Tumorentfernung, zwei Tage nach seinem neunundfünfzigsten Geburtstag!

Ein Schock für die sowjetische Weltraumfahrt, ein Schock für die gesamte Weltraumfahrt, ein Schock für die politische Führung, ein Schock für die sowjetische Bevölkerung - das Raumfahrtprogramm der UdSSR verliert seine treibende Kraft!


Heute sagen viele Insider nicht zu unrecht, dass ein wichtiger Grund für das sowjetische Scheitern im Mondwettlauf mit den USA im plötzlichen Tod Koroljows gelegen hat.
Das Mondprogramm kann sich nicht von diesem Schicksalsschlag erholen.

Der Posten des Chefkonstrukteurs muss nun ersetzt werden.
Wer ist der geeignete Mann?
Staatspräsident Leonid Breschnew wählt nach langen internen Diskussionen Wassili Mischin aus, der seit 1945 lange Jahre an Koroljows Seite in OKB-1 gearbeitet hat.

Mischin ist zwar ein guter Konstrukteur, an Führungskraft, an Motivationskraft, am geschickten Umgang mit der politischen Führung und an dem Gespür für die Pflege der richtigen Beziehungen kann er seinem Vorgänger nicht das Wasser reichen.
Was sich allein dadurch bemerkbar macht, dass er erst 1 ½ Jahre später im Mai 1967 offiziell in seinem Amt bestätigt wird.
Er wird beauftragt, Koroljows Lebenswerk fortzusetzen, d.h. die Entwicklung der Raumfahrtprogramme SOJUS, SALJUT, SOND und N1 bis zum Ende zu führen.


Abb. 21-1

Wassili Mischin
(1917 - 2001)

Abb. 21-1 Wassili Mischin, der neue Chefkonstrukteur

War lange Jahre Koroljows rechte Hand
W ird nach Koroljows Tod der neue Chefkonstrukteur und Leiter von OKB-1
Hauptverantwortlich für das bemannte N1-L3-Mondprogramm
Wird auch für dessen Scheitern verantwortlich gemacht und
1974 durch Walentin Gluschko ersetzt.
Mischin erhält danach einen Lehrstuhl in Moskau.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wird er auf Reisen in die USA zum Hauptberichterstatter über die sowjetische Raumfahrt zu Zeiten des Eisernen Vorhangs.


Die Schwierigkeiten beginnen sofort, denn erneute Rivalitäten zwischen konkurrierenden Planungsbüros verschleppen den Fortgang der Arbeiten.
Unter anderem wittern Tschelomej und Gluschko Morgenluft, sie bringen erneut ihr UR-700/LK-700-Projekt der direkten Mondlandung in die Diskussion. Doch Mstislaw Keldysch, der Präsident der sowjetischen Wissenschaftsakademie, bleibt standhaft. Das L3-Mondprojekt bleibt erhalten.

Allerdings müssen weitere Änderungen an der N1-Trägerrakete vorgenommen werden. Die beiden Teile des L3-Komplexes, das SOJUS-Mutterschiff und der LK-Lander, sind fertig konstruiert und können in die Produktion gehen.
Mischin hat herausgefunden, dass das Gewicht des L3-Komplexes für einen Transport mit der geplanten N1-Version zu groß geworden ist.
75 Tonnen Nutzlastkapazität reichen nicht mehr aus, sie muss auf nunmehr 98 Tonnen erhöht werden.
Auch das Design und Programmprofil der Mondrakete müssen verändert werden.

Alle Triebwerke der ersten bis dritten Stufe erfahren eine Leistungssteigerung.
Der benötigte Treibstoffvorrat erhöht sich um 20 Prozent, die Form der ehemals kugelförmigen Tanks wird nun zylindrisch .
Die Höhe des Erdorbits wird von 300 km auf 220 km reduziert.

Wassili Mischin hat die gleichen finanziellen Probleme wie sein Vorgänger.
Die Mondrakete verschluckt soviel Gelder, dass er sog. "All-in-one"-Tests anordnen muss.
D.h., dass nicht die einzelnen Raketenstufen getestet werden, sondern nur das Komplettpaket.
Was einen zusätzlichen Risikofaktor bedeutet, denn Koroljow und Kusnezow haben nicht genügend Zeit und Geld gehabt, um die Triebwerke in ausführlichen Tests einzeln bzw. in Gruppenarrangements auf Herz und Nieren zu prüfen.

 

Auch in Baikonur geht es voran; im Februar 1966 beginnt man mit dem Bau der zweiten Abschussrampe. Im November kommt die erste Hardware an, man beginnt sofort mit dem Zusammenbau eines Testmodells in Originalgröße.

Der erste Start einer N1-Trägerrakete wird nun für den März 1968 angekündigt, zwei Jahre später, als es die ersten allzu optimistischen Pläne anvisierten. General Kamanin schreibt in seinem Tagebuch, dies würde eine Steigerung der Arbeitszeiten und der Effektivität um mindestens das Zweifache erfordern!

Abb. 21-2

Obere Stufen einer
N1-Rakete beim Transport

Abb. 21-2 Obere Stufen einer N1-Rakete beim Transport




Abb. 21-3

LUNA 9:

erste weiche Mondlandung


Abb. 21-3  LUNA 9: erste sanfte Mondlandung

 
Abb. 21-4

LUNA 10:

erster künstlischer Mondsatellit

Abb. 21-4  LUNA 10: erster Mondsatellit

Währenddessen bleibt die Sowjetunion ihrem Ruf treu, die Nummer 1 im Weltraum zu sein; zwei weitere Premiere-Flüge kennzeichnen das Jahr 1966:

  • Zwei Wochen nach dem Tod Sergej Koroljows landet die Sonde LUNA 9

    weich auf dem Mond.
    Acht Fotografien schickt sie zur Erde zurück, bevor ihre Batterien verlöschen.

    Das amerikanische Parallelprojekt SURVEYOR liegt zu dem Zeitpunkt zwei Jahre hinter dem Zeitplan zurück.

  • Zwei Monate später im April '66 wird LUNA 10 der erste künstliche Satellit unseres Trabanten.
    Kritisch anmerken muss man allerdings, dass es den Sowjets bei LUNA 10 eher darauf ankam erneut zu siegen, als eine gut ausgerüstete Sonde in einen Mondorbit zu schicken.
    LUNA 10
    konnte sich mit dem US-LUNAR ORBITER nicht messen; keine Kameras an Bord, statt dessen ein Tonbandgerät mit der "Internationalen", um die Kommunistische Partei in Moskau zu grüßen, die ihren ersten Kongress unter Breschnews Führung abhielt.

    Eine zweifelhafte Nr. 1!



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Letztes Update dieser Seite am 04.04.2004

Kapitel 21

Der Schock:    Sergej Koroljow stirbt ...