Nachwort

Resümee eines verlorenen Wettlaufs





"Jedermann sieht die Grenzen seiner eigenen Vision
als die Grenzen seiner Welt an."

Arthur Schopenhauer, Philosoph


Wir wollen zunächst ein Fazit ziehen. Was sind die Ursachen für das sowjetische Scheitern im Mondwettlaufs gewesen? Wobei, wie wir bereits im Vorwort darzustellen versuchten, sich das Wort "Scheitern", nur auf die Frage beziehen soll, welcher Nation der erste Mensch auf dem Mond angehörte.
Der Ursachen für diese Art des Scheiterns gibt es einige, sie sind größtenteils schon angedeutet worden:

  • Der Fehler-im-Detail-Effekt:

    Die N1-Trägerrakete und insbesondere der 30-Triebwerke-Komplex der ersten Stufe erreichte nie einen zuverlässigen Standard. Das den Antriebskomplex kontrollierende KORD-Kontroll- und Sicherheitssystem versagte ein um das andere Mal. Dennoch hielten Wissenschaftler und Techniker an ihm fest
  • Der Unterschätzungs-Effekt:

    Die Sowjets haben die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft der amerikanische Nation unterschätzt und Präsident John F. Kennedy nicht ernst genommen, als er in seiner berühmten Rede eine amerikanische Mondlandung für das Ende der 60er Jahre voraussagte. Sie unterschätzten den Willen des amerikanischen Volkes, ihren Ehrgeiz und vor allem ihre technischen Mittel und finanziellen Möglichkeiten. Die UdSSR stieg erst zwei Jahre später in den Mondwettlauf ein, als die Amerikaner einen damals nach außen noch nicht ersichtlichen, aber nicht mehr einzuholenden Vorsprung hatten. Dann aber legten die Sowjets einen Gang, wenn nicht mehrere, zu und gerieten in hektische Aktivität. Die logische und bittere Konsequenz waren nicht vollständig durchdachte Konstruktionen, die Häufung technischer Fehler und den Programmablauf hemmender Katastrophen.
  • Der Rivalitäts-Effekt:

    Die damals stark verzweigte Organisationsstruktur der sowjetischen Raumfahrttechnik machte es schwer, die Kräfte für DAS MONDPROGRAMM zu bündeln. Mühsame Kompetenzrangeleien taten ihr übriges. Persönliche Rivalitäten, ja man muss sogar von Feindschaften wie die von den Chefkonstrukteuren Sergej Koroljow/Wassili Mischin und Walentin Tschelomej/Walentin Gluschko lähmten, behinderten den Fortgang der Entwicklungen. Sicher, auch in den amerikanischen Forschungsinstituten herrschte Rivalität. Im Nachhinein schaut es so aus, als sei es eine gesunde Rivalität gewesen, das Ziel "als erste Nation auf dem Mond zu sein" stand darüber. Bei der UdSSR scheint es so gewesen zu sein, als wäre manche Führungsperson mehr auf den persönlichen Vorteil bedacht gewesen als auf den Erfolg des Ganzen. Inwieweit das eine persönliche Kritik des Einzelnen am Kollektivgedanken des Kommunismus gewesen ist, möchten wir dem Leser selbst überlassen. Tatsache bleibt, dass es die UdSSR versäumt hat, dem Beispiel der USA ® NASA zu folgen und eine übergreifende Institution zu schaffen, die allein für die sowjetischen Weltraumprojekte zuständig ist. Man ist erst später einsichtig geworden und hat NPO ENERGIA bzw. die heutige russische RSA gegründet.
  • Der Verlust-Effekt:

    Manch einer wird denken: Wie kann bei einem Projekt, an dem Hunderte, ja Tausende von Menschen arbeiten, der Verlust eines einzelnen Menschen den Ausgang des Projektes so stark beeinflusst haben? Wenn dieser Jemand aber eine charismatische Persönlichkeit mit großem Einfluss gewesen ist - und nach allen mündlichen Berichten von Zeitzeugen war das Sergej Koroljow! - dann ist dies auch bei einem gigantischen Unternehmen wie dem sowjetischen Mondprogramm möglich. Es gibt genügend Beispiele aus ganz anderen Bereichen, die diese These belegen. Auch ein plötzlicher Tod von Wernher v. Braun hätte das amerikanische Mondprogramm ins Wanken bringen können. Sergej Koroljow hatte vor seinem Abschied alle Fäden des Mondprogramms in der Hand gehabt; sein unerwarteter Tod ließ ein Loch im Führungsgremium entstehen, dass in einer Zeit, in der überlegte Eile und Stetigkeit gefordert war, um mit dem Entwicklungstempo der Amerikaner mithalten zu können, nicht zu schließen war.

  • Der Budget-Effekt:

    Für das gesamte Mondpaket der damaligen Sowjetunion - das sind UR-500-PROTON/LK-1, PROTON/L-1=SOND, N1-L3/SOJUS-LOK/LK, und LUNA/LUNOCHOD - sind umgerechnet ungefähr 4,5 Milliarden US-Dollar aufgewendet worden, den Löwenanteil von 2,5 Mrd. $ hat das N1-Programm verschlungen. "Viel zu wenig" sei das gewesen, wird sich Chefkonstrukteur Wassili Mischin später kritisch dazu äußern. Vergleicht man die Zahlen mit dem mehr als fünffachen Budget von sage und schreibe 24 Milliarden US-$ des amerikanischen Mondprogramms APOLLO/SATURN V, so muss man ihm recht geben. Zu geringe finanzielle Unterstützung seitens des Staates, das hat u.a. bedeutet: Weniger Hardware konnte gebaut werden. Notwendige Testläufe der gebauten Hardware mussten eingeschränkt werden bzw. gar ganz ausfallen.


Entwicklung der sowjetisch/russischen Raumfahrt durch vier Jahrzehnte


Betrachtet man heute den sowjetisch-amerikanischen "Wettlauf" zum Mond aus der zeitlichen Distanz von nun mehr drei Jahrzehnten, so muss man feststellen, dass die Antriebsfedern für dieses milliardenschwere Kopf-an-Kopf-Rennen nicht allein wissenschaftliche Neugier und Forschungsdrang gewesen sind, sondern auch ein Prestigedenken, frei nach dem Motto: "Wer ist der erste Mann im Mond?". Der "Heiße" Weltkrieg hatte die Voraussetzungen für die Weltraumfahrt geschaffen, und im Kalten Krieg sollte dann die weiterentwickelte Technologie dazu beitragen, der Welt die Überlegenheit und Schaffenskraft des jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Systems zu beweisen.

Die Sowjets setzten, verführt durch ihre ersten Erfolge im All, auf die Propagandawirkung erfolgreicher und spektakulärer Weltraummissionen; die politische Führung drängte nicht selten ihre Wissenschaftler und Konstrukteure zu riskanten oder gar lebensgefährlichen Missionen, die mehr Effekthascherei denn wissenschaftlichen Nutzen beinhalteten. Dies mag auch einer Kompensierung der Tatsache (gegenüber der Bevölkerung) gedient haben, dass die UdSSR im wirtschaftlichen Bereich den westlichen Industriestaaten mit ihrer Führungsnation USA hinterherhinkte.

Die Amerikaner dagegen hatten - erfolgreich - versucht, ihren zunächst deprimierenden Rückstand in der Weltraumfahrt einzuholen. Dafür konzentrierten sie, ähnlich wie beim MANHATTAN-Atombomben-Projekt, den Großteil der Kräfte und Mittel auf einen Punkt, das Mondprogramm, und gründeten die NASA. Rigoros kürzte man fortan die Etats für die Weltraumvorhaben der bisher dafür verantwortlichen Teile des US-Militärs: Marine, Army und Airforce. So wurde die NASA wenig später mit einem äußerst großzügigen Budget ins Rennen geschickt. Welchen man ihr nach vorzeitiger Beendigung des APOLLO-Programms allerdings auch schnell wieder zusammenstrich. Die am amerikanischen Mondprogramm Beteiligten, angefangen bei den Astronauten, hatten, als sie einem durch den Vietnamkrieg geschocktem und von Selbstzweifeln geplagtem Land geholfen hatten, seinen Nationalstolz wiederherzustellen, ihre Pflicht getan; sie durften kurz jubeln, dann holten sie die Streichmaßnahmen des US-Kongresses schnell wieder zurück auf den Boden. Wernher von Braun war darüber so erbost und verbittert, dass er die NASA verließ und in die Wirtschaft ging.

Aber das ist sicher nur ein Teil der ganzen Wahrheit. Mit einer Technikbegeisterung, die mit der heutigen Faszination für die Welt des Computers zu vergleichen ist, machte sich der Mensch in der Mitte dieses Jahrhunderts auf, um die Grenzen der bis dahin gekannten Welt zu sprengen. Neugier und Forschergeist trieben Wissenschaftler an, ihre Träume von der Weltraumfahrt zu verwirklichen. Gewaltige Raketen katapultierten zunächst nur Messgeräte, später auch die ersten wagemutigen Menschen ins All, um unser Wissen und unser Weltbild mit neuen Erkenntnissen zu bereichern.

Die Raumfahrt war ein Sinnbild für Fortschritt und Erfindungsgeist geworden, und der Mond schien nur eine erste Etappe auf dem Weg zu den Sternen zu sein. Mit der ersten Mondlandung kehrte dann jedoch Ernüchterung ein, die bemannte Raumfahrt hatte ihren ersten Zenit überschritten. Beide Supermächte waren an einem weiteren Rennen im All - der Mars bot sich dafür an - nicht mehr interessiert. Und die folgenden Missionen der bemannten Raumfahrt, die sich nun auf den Betrieb von Raumstationen und Raumtransportern konzentrierten, gerieten fast zur Alltäglichkeit. In der breiten Öffentlichkeit fanden nur noch spektakuläre Rettungsmissionen, wie die zur Erhaltung von SKYLAB, oder Langzeitrekorde in SALJUT-Stationen Beachtung; die wissenschaftliche Grundlagenforschung interessierte... verständlicherweise... nur wenige.

Während die kommerzielle Satellitentechnik boomt, plagen nun nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der UdSSR noch größere finanzielle Sorgen den Teil der Weltraumfahrt, der sich mit der wissenschaftlichen Forschung beschäftigt. Nur durch internationale Zusammenarbeit lassen sich größere Projekte und Pioniertaten, wie derzeit die Internationale Raumstation ISS, verwirklichen; ein untrügliches Zeichen dafür, dass unsere Welt zusammenwächst. Die Zeit der großen nationalen Alleingänge ist aller Wahrscheinlichkeit nach vorbei.

Und so ist anzunehmen, dass in der Zukunft Raumfahrer verschiedener Nationen nur noch als Team auf den Mond zurückkehren werden. Sicher werden dann eines Tages Menschen vor den Hinterlassenschaften der amerikanischen und sowjetischen Mondmissionen stehen. Sie werden sich an diese Pioniertaten erinnern, und sich vielleicht fragen, wie es genau beim Mondwettlauf gewesen ist. Man wird sich auch an die sowjetischen Bestrebungen erinnern, Kosmonauten den Mond betreten zu lassen.

Aber ob Russe ob Amerikaner, wichtig ist, dass überhaupt ein Mensch diesen phantastischen und gefährlichen Schritt getan hat. Die Amerikaner sind zu recht sehr stolz auf ihre technische und wissenschaftliche Großtat, und sie werden uns das sicher auch zum 30. Jahrestag der ersten Mondlandung wissen lassen; doch in einigen Jahrzehnten wird es nur noch wichtig sein, dass ein Bewohner der Erde seinen Planeten verlassen hat, um den Fuß auf einen anderen Himmelskörper zu setzen. Menschliche Phantasie, Können und Mut - Eigenschaften, auf die keine Nation ein Monopol hat - machten die Mondlandungen möglich.

Sie werden auch für die weiteren "Small Steps", die kleinen Schritte bei der Erforschung des Weltalls, verantwortlich sein. Verstehen wir daher die Raumfahrt als Herausforderung und Entwicklungsmöglichkeit der Menschheit!

Am Ende ist ein weiterer Aspekt der Raumfahrt zu nennen, dieser schwer zu vermittelnde, fast schon religiös zu nennende Effekt, der bei den meisten Astronauten wie Kosmonauten eingetreten ist, als sie unseren Heimatplaneten aus dem All das erste Mal betrachten konnten: Sie flogen als Amerikaner, Russen, Deutsche oder Tschechen ins All... und kehrten als Terraner zurück. Wernher von Braun hat diesen Effekt schon 1959, bevor noch ein Mensch im All war, vorausgesagt:

"Der unendliche Sternenhimmel, der sie dort draußen umgibt,
wird ihnen eine stete Mahnung sein, dass es eine Kraft gibt,
die größer ist als der Antriebsschub ihrer Raketenschiffe;
dass es einen Geist gibt, der größer ist als der kalte Verstand ihrer Rechenmaschinen;
dass es eine überweltliche Kraft gibt, die größer ist als die Macht ihrer eigenen Nation."

Wernher von Braun, am 6. September 1959 in der Frankfurter Paulskirche


Joachim Kutzner & Kurt Kobler


Inhalt

Letztes Update dieser Seite am 04.04.2004