Wir wollen zunächst ein Fazit ziehen. Was sind die Ursachen
für das sowjetische Scheitern im Mondwettlaufs gewesen? Wobei,
wie wir bereits im Vorwort darzustellen versuchten, sich das Wort
"Scheitern", nur auf die Frage beziehen soll, welcher Nation der
erste Mensch auf dem Mond angehörte.
Der Ursachen für diese Art des Scheiterns gibt es einige,
sie sind größtenteils schon angedeutet worden:
- Der Fehler-im-Detail-Effekt:
Die N1-Trägerrakete und insbesondere der 30-Triebwerke-Komplex
der ersten Stufe erreichte nie einen zuverlässigen Standard.
Das den Antriebskomplex kontrollierende KORD-Kontroll- und Sicherheitssystem
versagte ein um das andere Mal. Dennoch hielten Wissenschaftler
und Techniker an ihm fest
- Der Unterschätzungs-Effekt:
Die Sowjets haben die Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft
der amerikanische Nation unterschätzt und Präsident
John F. Kennedy nicht ernst genommen, als er in seiner berühmten
Rede eine amerikanische Mondlandung für das Ende der 60er
Jahre voraussagte. Sie unterschätzten den Willen des amerikanischen
Volkes, ihren Ehrgeiz und vor allem ihre technischen Mittel
und finanziellen Möglichkeiten. Die UdSSR stieg erst zwei
Jahre später in den Mondwettlauf ein, als die Amerikaner
einen damals nach außen noch nicht ersichtlichen, aber
nicht mehr einzuholenden Vorsprung hatten. Dann aber legten
die Sowjets einen Gang, wenn nicht mehrere, zu und gerieten
in hektische Aktivität. Die logische und bittere Konsequenz
waren nicht vollständig durchdachte Konstruktionen, die
Häufung technischer Fehler und den Programmablauf hemmender
Katastrophen.
- Der Rivalitäts-Effekt:
Die damals stark verzweigte Organisationsstruktur der sowjetischen
Raumfahrttechnik machte es schwer, die Kräfte für
DAS MONDPROGRAMM zu bündeln. Mühsame Kompetenzrangeleien
taten ihr übriges. Persönliche Rivalitäten, ja
man muss sogar von Feindschaften wie die von den Chefkonstrukteuren
Sergej Koroljow/Wassili Mischin und Walentin Tschelomej/Walentin
Gluschko lähmten, behinderten den Fortgang der Entwicklungen.
Sicher, auch in den amerikanischen Forschungsinstituten herrschte
Rivalität. Im Nachhinein schaut es so aus, als sei es eine
gesunde Rivalität gewesen, das Ziel "als erste Nation auf
dem Mond zu sein" stand darüber. Bei der UdSSR scheint
es so gewesen zu sein, als wäre manche Führungsperson
mehr auf den persönlichen Vorteil bedacht gewesen als auf
den Erfolg des Ganzen. Inwieweit das eine persönliche Kritik
des Einzelnen am Kollektivgedanken des Kommunismus gewesen ist,
möchten wir dem Leser selbst überlassen. Tatsache
bleibt, dass es die UdSSR versäumt hat, dem Beispiel der
USA ® NASA zu folgen und eine
übergreifende Institution zu schaffen, die allein für
die sowjetischen Weltraumprojekte zuständig ist. Man ist
erst später einsichtig geworden und hat NPO ENERGIA bzw.
die heutige russische RSA gegründet.
- Der Verlust-Effekt:
Manch einer wird denken: Wie kann bei einem Projekt, an dem
Hunderte, ja Tausende von Menschen arbeiten, der Verlust eines
einzelnen Menschen den Ausgang des Projektes so stark beeinflusst
haben? Wenn dieser Jemand aber eine charismatische Persönlichkeit
mit großem Einfluss gewesen ist - und nach allen mündlichen
Berichten von Zeitzeugen war das Sergej Koroljow! - dann ist
dies auch bei einem gigantischen Unternehmen wie dem sowjetischen
Mondprogramm möglich. Es gibt genügend Beispiele
aus ganz anderen Bereichen, die diese These belegen. Auch
ein plötzlicher Tod von Wernher v. Braun hätte das
amerikanische Mondprogramm ins Wanken bringen können.
Sergej Koroljow hatte vor seinem Abschied alle Fäden
des Mondprogramms in der Hand gehabt; sein unerwarteter Tod
ließ ein Loch im Führungsgremium entstehen, dass
in einer Zeit, in der überlegte Eile und Stetigkeit gefordert
war, um mit dem Entwicklungstempo der Amerikaner mithalten
zu können, nicht zu schließen war.
- Der Budget-Effekt:
Für das gesamte Mondpaket der damaligen Sowjetunion -
das sind UR-500-PROTON/LK-1, PROTON/L-1=SOND, N1-L3/SOJUS-LOK/LK,
und LUNA/LUNOCHOD - sind umgerechnet ungefähr 4,5 Milliarden
US-Dollar aufgewendet worden, den Löwenanteil von 2,5
Mrd. $ hat das N1-Programm verschlungen. "Viel zu wenig" sei
das gewesen, wird sich Chefkonstrukteur Wassili Mischin später
kritisch dazu äußern. Vergleicht man die Zahlen
mit dem mehr als fünffachen Budget von sage und schreibe
24 Milliarden US-$ des amerikanischen Mondprogramms APOLLO/SATURN
V, so muss man ihm recht geben. Zu geringe finanzielle Unterstützung
seitens des Staates, das hat u.a. bedeutet: Weniger Hardware
konnte gebaut werden. Notwendige Testläufe der gebauten
Hardware mussten eingeschränkt werden bzw. gar ganz ausfallen.
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Betrachtet man heute den sowjetisch-amerikanischen "Wettlauf"
zum Mond aus der zeitlichen Distanz von nun mehr drei Jahrzehnten,
so muss man feststellen, dass die Antriebsfedern für dieses
milliardenschwere Kopf-an-Kopf-Rennen nicht allein wissenschaftliche
Neugier und Forschungsdrang gewesen sind, sondern auch ein Prestigedenken,
frei nach dem Motto: "Wer ist der erste Mann
im Mond?". Der "Heiße" Weltkrieg hatte die Voraussetzungen
für die Weltraumfahrt geschaffen, und im Kalten Krieg sollte
dann die weiterentwickelte Technologie dazu beitragen, der Welt
die Überlegenheit und Schaffenskraft des jeweiligen politisch-gesellschaftlichen
Systems zu beweisen.
Die Sowjets setzten, verführt durch ihre ersten Erfolge
im All, auf die Propagandawirkung erfolgreicher und spektakulärer
Weltraummissionen; die politische Führung drängte nicht
selten ihre Wissenschaftler und Konstrukteure zu riskanten oder
gar lebensgefährlichen Missionen, die mehr Effekthascherei
denn wissenschaftlichen Nutzen beinhalteten. Dies mag auch einer
Kompensierung der Tatsache (gegenüber der Bevölkerung)
gedient haben, dass die UdSSR im wirtschaftlichen Bereich den
westlichen Industriestaaten mit ihrer Führungsnation USA
hinterherhinkte.
Die Amerikaner dagegen hatten - erfolgreich - versucht, ihren
zunächst deprimierenden Rückstand in der Weltraumfahrt
einzuholen. Dafür konzentrierten sie, ähnlich wie beim
MANHATTAN-Atombomben-Projekt, den Großteil der Kräfte
und Mittel auf einen Punkt, das Mondprogramm, und gründeten
die NASA. Rigoros kürzte man fortan die Etats für die
Weltraumvorhaben der bisher dafür verantwortlichen Teile
des US-Militärs: Marine, Army und Airforce. So wurde die
NASA wenig später mit einem äußerst großzügigen
Budget ins Rennen geschickt. Welchen man ihr nach vorzeitiger
Beendigung des APOLLO-Programms allerdings
auch schnell wieder zusammenstrich. Die am amerikanischen Mondprogramm
Beteiligten, angefangen bei den Astronauten, hatten, als sie einem
durch den Vietnamkrieg geschocktem und von Selbstzweifeln geplagtem
Land geholfen hatten, seinen Nationalstolz wiederherzustellen,
ihre Pflicht getan; sie durften kurz jubeln, dann holten sie die
Streichmaßnahmen des US-Kongresses schnell wieder zurück
auf den Boden. Wernher von Braun war darüber so erbost und
verbittert, dass er die NASA verließ und in die Wirtschaft
ging.
Aber das ist sicher nur ein Teil der ganzen Wahrheit. Mit einer
Technikbegeisterung, die mit der heutigen Faszination für
die Welt des Computers zu vergleichen ist, machte sich der Mensch
in der Mitte dieses Jahrhunderts auf, um die Grenzen der bis dahin
gekannten Welt zu sprengen. Neugier und Forschergeist trieben
Wissenschaftler an, ihre Träume von der Weltraumfahrt zu
verwirklichen. Gewaltige Raketen katapultierten zunächst
nur Messgeräte, später auch die ersten wagemutigen Menschen
ins All, um unser Wissen und unser Weltbild mit neuen Erkenntnissen
zu bereichern.
Die Raumfahrt war ein Sinnbild für Fortschritt und Erfindungsgeist
geworden, und der Mond schien nur eine erste Etappe auf dem Weg
zu den Sternen zu sein. Mit der ersten Mondlandung kehrte dann
jedoch Ernüchterung ein, die bemannte Raumfahrt hatte ihren
ersten Zenit überschritten. Beide Supermächte waren
an einem weiteren Rennen im All - der Mars bot sich dafür
an - nicht mehr interessiert. Und die folgenden Missionen der
bemannten Raumfahrt, die sich nun auf den Betrieb von Raumstationen
und Raumtransportern konzentrierten, gerieten fast zur Alltäglichkeit.
In der breiten Öffentlichkeit fanden nur noch spektakuläre
Rettungsmissionen, wie die zur Erhaltung von SKYLAB,
oder Langzeitrekorde in SALJUT-Stationen
Beachtung; die wissenschaftliche Grundlagenforschung interessierte...
verständlicherweise... nur wenige.
Während die kommerzielle Satellitentechnik boomt, plagen
nun nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der UdSSR
noch größere finanzielle Sorgen den Teil der Weltraumfahrt,
der sich mit der wissenschaftlichen Forschung beschäftigt.
Nur durch internationale Zusammenarbeit lassen sich größere
Projekte und Pioniertaten, wie derzeit die Internationale Raumstation
ISS, verwirklichen; ein untrügliches
Zeichen dafür, dass unsere Welt zusammenwächst. Die
Zeit der großen nationalen Alleingänge ist aller Wahrscheinlichkeit
nach vorbei.
Und so ist anzunehmen, dass in der Zukunft Raumfahrer verschiedener
Nationen nur noch als Team auf den Mond zurückkehren werden.
Sicher werden dann eines Tages Menschen vor den Hinterlassenschaften
der amerikanischen und sowjetischen Mondmissionen stehen. Sie
werden sich an diese Pioniertaten erinnern, und sich vielleicht
fragen, wie es genau beim Mondwettlauf gewesen ist. Man wird sich
auch an die sowjetischen Bestrebungen erinnern, Kosmonauten den
Mond betreten zu lassen.
Aber ob Russe ob Amerikaner, wichtig ist, dass überhaupt
ein Mensch diesen phantastischen und gefährlichen Schritt
getan hat. Die Amerikaner sind zu recht sehr stolz auf ihre technische
und wissenschaftliche Großtat, und sie werden uns das sicher
auch zum 30. Jahrestag der ersten Mondlandung wissen lassen; doch
in einigen Jahrzehnten wird es nur noch wichtig sein, dass ein
Bewohner der Erde seinen Planeten verlassen hat, um den Fuß
auf einen anderen Himmelskörper zu setzen. Menschliche Phantasie,
Können und Mut - Eigenschaften, auf die keine Nation ein
Monopol hat - machten die Mondlandungen möglich.
Sie werden auch für die weiteren "Small Steps", die kleinen
Schritte bei der Erforschung des Weltalls, verantwortlich sein.
Verstehen wir daher die Raumfahrt als Herausforderung und Entwicklungsmöglichkeit
der Menschheit!
Am Ende ist ein weiterer Aspekt der Raumfahrt zu nennen, dieser
schwer zu vermittelnde, fast schon religiös zu nennende Effekt,
der bei den meisten Astronauten wie Kosmonauten eingetreten ist,
als sie unseren Heimatplaneten aus dem All das erste Mal betrachten
konnten: Sie flogen als Amerikaner, Russen, Deutsche oder Tschechen
ins All... und kehrten als Terraner zurück. Wernher von Braun
hat diesen Effekt schon 1959, bevor noch ein Mensch im All war,
vorausgesagt:
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